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OMNIA Nr. 9

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Februar 2018 - Ausgabe

Februar 2018 - Ausgabe #09 Ich bin bei dir In meinem Leben lernte ich, dass Trauer nicht so tief Einzug in meinem Herzen halten kann, wenn ich dankbar bin. Zunächst einmal bin ich jeden Morgen dankbar für die kleinen Dinge: Ich bin gesund, habe ein warmes Bett, aus dem ich aufstehen darf. Ich bin dankbar für meinen Kaffee, meine warme Dusche, meine Freude an meiner Arbeit im Kinderhospiz, die ich so sehr liebe ... Ich war schon immer ein fröhliches Kind, ein Sonntagskind, trotz eines schwierigen Elternhauses. Meine Mama, sie konnte wohl nicht anders, sperrte meinen Bruder und mich in den dunklen Keller, schlug uns und strafte uns mit Liebesentzug, indem sie nicht mit uns redete. Sie starb vor 45 Jahren und ich bin im Frieden mit ihr. Es hatte sicherlich seine Gründe, warum sie so hart wurde. Mein Bruder Peter war immer da, wenn ich ihn als Kind brauchte. Seine Liebe und Wärme, sein Verständnis für mich als Schwester, schenkten mir das, was unsere Mutter uns nicht zu geben vermochte. Dafür liebe ich ihn sehr. Und meine Oma Dini, mein Ein und Alles, ließ mich ohne viele Worte fühlen, dass ich, genauso wie ich bin, ein Juwel bin. Erst viele Jahre später – mit über 50 – merkte ich, dass alles Sinn ergab, was ich erlebt hatte ... Eine liebe Freundin sagte einmal zu mir: „Du bist nicht hart geworden. Du hast deine Kinder in Liebe großgezogen, hast nicht das wiederholt, was dir widerfahren ist. Und du hast aus all dem etwas ganz Kostbares gemacht: Du begleitest nun Kinder in den Tod, die an Krebs erkrankt sind und sterben werden. Du hast die Dunkelheit im Keller deiner Kindheit, das So-nah-an-einer-Klippe-Stehen, zu dem gemacht, was es jetzt sein darf: Liebe zu sterbenden Kindern.“ Ja, es ist meine Erfahrung, die nun Kindern hilft, die am Rande des Lebens stehen. Meine Liebe zu ihnen ist mein Geschenk; das bedeutet, da zu sein, im HIER und JETZT, mit diesen Kindern, anzunehmen was ist und den schweren Tagen ab und zu noch ein Lachen abzuringen. Bis zum letzten Augenblick zeigten mir die Kids, die ich in den vielen Jahren begleiten durfte, dass man lebt und liebt. Bis zum letzten Atemzug, bis zum letzten Moment gab es auch Lachen, Sonne und Liebe in ihrem Leben. Wenn sich bei mir eigene Trauer einschleicht, lasse ich sie zu. Und wenn ich genug abgetaucht bin zum traurigen Kind in mir, dann erinnere ich mich daran, was diese Kinder mich im Leben gelehrt haben: „Leben an jedem Tag!“ Man braucht ja immer nur einen Tag zu bewältigen, genauso wie man immer nur einen Atemzug ein- und einen ausatmen kann ... ANZEIGE Sie waren alle so weise und ich bin dankbar, dass ich bei ihnen sein durfte. Sie erlaubten mir einen anderen Blick auf mein Leben, auch auf die Zeit im Keller, als ich noch klein war. Denn am Ende wird alles gut: Alles kann sich zu etwas Besonderem, zum Positiven und zum vollen Potenzial entwickeln. Vielleicht nicht gleich. Es braucht Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten, zu wandeln und zu transformieren, damit etwas Neues entstehen kann. Immer ist es ein Stirb-und-werde-Prozess. Jedes Leben hat diese Übergänge und Prozesse, Foto: Shutterstock - © Annette Rosskamp 32

„Tu nur das, was dein Herz dir sagt,“ war der Leitsatz von drei Jugendlichen, die Annette Rosskamp in den Tod begleitet hat. Sie sagt, sie pflanze den „Traum einer Wunscherfüllung“ in die Köpfe der kranken Kinder. Lebt dieser, ist es leichter, die schwere Zeit der Therapien zu überstehen. Und die Herzenswünsche wurden später vom Verein erfüllt, zum Beispiel Fliegen, Ferrari Fahren oder Ferien am Meer. Annette beobachtete, dass viele Kinder und Jugendliche durch ihre Krankheit den Willen entwickeln, selbstbestimmt bis zum letzten Atemzug zu sein. Viele würden sagen: „Ich mach mein Ding! Was die anderen sagen, ist mir egal!“ – „Und wenn sie austherapiert sind, akzeptieren die meisten ihr Schicksal und schließen Frieden mit dem, was ist,“ erzählt Annette über ihre Arbeit am Sterbebett. „Ihre Weisheit, der Situation wie sie ist, ins Auge zu sehen und ‚Okay’ zu sagen zu dem, was kommt, ist bewundernswert.“ jeder muss diese Trauer durchleben. Es gibt keine Abkürzung. Und niemand ist Opfer seines Schicksals! Niemand kann einem den Prozess abnehmen, aber wenn wir ihn abarbeiten, durch- und überstehen, sind wir gestärkter und gereifter als je zuvor. Und es ist immer ein Üben für den letzten großen Prozess, unser eigenes Sterben ... Wenn wir unseren Fokus auf das legen, was wir haben und nicht auf das, was wir so sehr vermissen, dann kann das Leben ein bisschen leichter werden, dann sind wir im HIER und leben das JETZT. Und wenn dies nur für einen Moment gelingt, ist wieder Sonnenschein im dunklen Keller des Lebens. Heute bin ich 64 Jahre alt, Mama von erwachsenen Kindern und Oma zweier süßer Enkelinnen. Wenn sie die Liebe und Dankbarkeit ihrer Oma weitertragen, ist dies das größte Geschenk, das ich mir wünschen kann. Denn am Ende ist alles gut. Annette Rosskamp Acht Jahre arbeitete Annette Rosskamp als ehrenamtliche Mitarbeiterin für den Verein „Herzenswünsche e.V.“ aus Münster auf der Station Regenbogen in Würzburg und erfüllte über 150 Herzenswünsche. Sie besuchte die Kinder und ihre Familien und begleitet über 30 Kinder auf ihrer letzten Reise. Regelmäßig hat sie noch Kontakt zu den Eltern und Geschwistern der verstorbenen Kinder. Mehr Infos: immerbeieuch.de, herzenswuensche.de 33

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