Februar 2018 - Ausgabe #09 Liebe lässt los Wenn Liebe festhält statt loslässt, einengt statt frei lässt, verlangt statt bedingungslos liebt, werden beide Liebenden unglücklich. Ruediger Dahlke über die krankmachende Liebe aus therapeutischer Sicht. W Wir wissen heute viel über die Liebe und ihre biochemischen Grundlagen. So wissen wir, dass beim Saugen an der weiblichen Brust Oxytocin, das Bindungshormon, freigesetzt wird. Eine Frau sollte sich also gut überlegen, wen, außer ihrem Baby, sie an ihrer Brust saugen lässt, denn die Bindung entsteht bei ihr und nicht so sehr beim Sauger. Diese Bindung zum Baby und zum Partner ist von Mutter Natur gewollt, allerdings kann sie bei der Mutter , wenn sie über Jahrzehnte erhalten bleibt, zum Leeren-Nest-Syndrom führen und krankhaft werden. Wenn die Mutter nichts anderes im Leben findet als die Liebe zum Kind – das heißt, wenn sich ihr kein eigenes Leben eröffnet – wird sie an ihm hängenbleiben und umgekehrt das Kind an ihr. Das Leere-Nest-Syndrom ist so gesehen auch tatsächlich ein Auslöser von Depression: Die Kinder fliegen, wenn auch (zu) spät, aus ihrem Nest und Mutter bleibt allein zurück. Sie wartet verzweifelt auf Besuche – die jedoch ausbleiben – und wird depressiv. Die moderne Gesellschaft fördert solche Schicksale, indem sie Eltern, die ihren Kindern einen Schubs ins Leben geben, als Rabeneltern diffamiert. Aber was machen Raben, um zu einem solchen Namensgeber zu werden? Sie füttern ihre Jungen so lange es geht bravourös durch. Wenn ein Nesthocker den Absprung aus dem Nest nicht schafft, wird er durchaus noch einige Zeit gefüttert. Allerdings spüren die Rabeneltern, dass sie ihn ohne Entwicklungsbereitschaft nicht durch den Winter bekommen. Insofern werfen sie ihn irgendwann zu seinem Besten tatsächlich aus dem Nest, indem sie ihn faktisch über Bord hieven. Je nach Höhe hat er dann 5 bis 8 Meter Zeit zu überlegen, ob er doch noch ein Rabe werden will. Meist benutzt er dann seine Flügel und fängt den Sturz flatternd ab. Manche Eltern füttern ihn unter Lebensgefahr am Boden weiter und er schafft – unter erschwerten Bedingungen – doch noch den Abflug ins Rabenleben. Menschliche Eltern, die so mit ihren Kindern verfahren, setzen sich dem Vorwurf aus, Rabeneltern zu sein. Andererseits bleiben immer mehr junge Leute zuhause hängen und als sogenannte Bore-out-Patienten auf der Strecke. Sie sitzen Ende 20, Anfang 30 noch bei Muttern und lassen sich bekochen und umsorgen, ohne Ambitionen, flügge zu werden. Der Ausdruck „Bore-out“ kommt aus den USA, wo diese Unsitte schon Tradition hat. Unmotivierte Kinder ohne eigenen Antrieb bleiben also nicht einmal mehr auf der Foto: Shutterstock 18
Strecke, sondern einfach zuhause liegen. Bei solch überzogener „Liebe“ sprechen wir gern von „Affenliebe“, wobei bei unseren nächsten Verwandten im Tierreich derlei gar nicht vorkommt. Liebe, die nicht los- und nicht frei lässt, wird so zunehmend zum Problem. Die hilflosen Mütter bitten dann nicht selten Therapeuten um Hausbesuche, die jedoch nicht fruchten, weil diese Kinder keinerlei Motivation zeigen, den Absprung ins Leben zu wagen. Lieber bleiben sie als sogenannte Couch-Potatos auf dem Sofa bei Muttern sitzen und genießen deren Service. Dieses Verhalten brachte uns die Bezeichnung „Null-Bock-Generation“. Wo diese Fremd- und Eigen-Blockade durch kranke, festhaltende Liebe mütterlicherseits – und fehlende Eigenliebe auf Kinderseite – hinführt, ist langfristig unklar; die Aussichten sind jedoch wenig vielversprechend. Wo die Frage auftaucht „Liebst du mich?“ ist bereits Gefahr im Verzug, denn wie wäre sie zu beantworten? Sie entsteht meist aus dem Gefühl des Mangels. Wer sich wirklich geliebt fühlt, braucht nicht zu fragen, denn er wird die Liebe spüren. Wo die Frage aber notwendig erscheint, ist es meist schon spät und die Antwort nicht mehr ehrlich. Entsprechende positive Versicherungen sind dann auch weder beruhigend noch überzeugend. Steckt Eifersucht dahinter und der damit einhergehende Mangel an Selbstwertgefühl, kann keine positive Versicherung etwas am tiefsitzenden Dilemma ändern. Selbst die Verliebtheit – dieses so be- und verzaubernde Fließen – ist unter therapeutischen Gesichtspunkten als eine Art Großhirnvergiftung zu betrachten, denn der plötzlich aus- Die Fallstricke in der Beziehungsliebe Die festhaltende „Liebe“ in der Partnerschaft ist als Eifersucht bekannt und verpönt. Hildegard von Bingen kannte insgesamt 35 Laster oder Süchte, wobei sie die Eifersucht und die Habsucht als die schlimmsten erwähnte. Bezeichnenderweise hält die moderne Medizin beide nicht mehr für behandlungswürdig, denn sie hat sie als Krankheitsbilder gestrichen – wobei sie im Übrigen auch nichts zur Behandlung im Repertoire hätte. Zu welchem Facharzt sollte man wegen Eifersucht gehen? Dabei sind Hab- und Eifersucht bis heute tatsächlich die verbreitetsten Süchte und wohl auch am gefährlichsten. Die Habsucht zerstört so viele soziale Beziehungen, wie die Eifersucht Partnerschaften ruiniert. Und die beiden Süchte haben ihrerseits eine Beziehung zueinander: Während die Habsucht alles Materielle besitzen will, versucht die Eifersucht, die Seele in Besitz zu nehmen. Das eine wie das andere Unterfangen ist zum Scheitern verurteilt, doch schon der Versuch hat zerstörerische Kraft. Mit Abstand betrachtet, ist es allein schon lächerlich, Land besitzen zu wollen, wenn man nicht wenigstens selbst darauf sitzt. Die Gefahr, davon besessen zu werden, ist dahingegen unübersehbar. Eine andere Seele besitzen zu wollen, ist vollends absurd und führt zu einer von Überwachung, Kontrolle und anderen Zwangsmaßnahmen geprägten Art von Besessenheit. Diese zerstört jede Liebe, denn der von Eifersucht Verfolgte befreit sich entweder durch Rückzug oder unterwirft sich den neurotischen Zwangsmaßnahmen. Beides ruiniert die Liebe, denn sie lebt von der Freiwilligkeit und vom Fluss der Gefühle. ANZEIGE 19
Kind sein INHALT Wecke deine Intuit
KIND SEIN Martin Zoller ist ein int
KIND SEIN Tipp: Verbinde Ausbildung
KIND SEIN Jeden Morgen reinigt die
KIND SEIN Schaff dir Mini-Oasen im
KIND SEIN Der Plan B - Oder die Zuk
KIND SEIN Du hast die Wahl! Welche
Ausgabe #10 erscheint am 30. Mai 20
Laden...
Laden...
Laden...